Ein Fall für drei? Michael Lange & Peter Hallmann Es gibt Kakteennamen, die seit Jahrzehnten umhergeistern und sich an Pflanzen in vielen mitteleuropäischen Sammlungen wiederfinden. Auch Echinocereen sind davon betroffen. Die Liste ungültiger oder unsicherer Namen ist ohnehin lang. Ein solcher hartnäckiger Fall kursiert unter dem Namen Echinocereus sanborgianus. Natürlich reizt die Klärung solch unsicherer Namen und so machte sich der Koautor (PH) während zweier Reisen nach Niederkalifornien in Mexiko auf die Suche. Der Artname leitet sich vom Fundort der Pflanze ab: „rocky table lands south of San Borja“ (COULTER 1896: 391), also der Sierra San Borja auf der Baja California (Norte), Mexiko. An der Mex 1 steht ein Hinweisschild Richtung San Borja, was folgt, ist eine Piste, die dem Fahrer und vor allem dem Auto alles abverlangt. Es gibt keine Straße, sondern mehrere wilde Wege, die je nach aktuellem Zustand genutzt werden. Die größten Hindernisse sind die Flussbetten, die zum Glück meist trocken liegen, und das darin befindliche Geröll sowie Sandbänke. Wer hier ohne Allradantrieb unterwegs ist, hat nur eine Chance: Vollgas und durch! Stecken bleiben darf man nicht, allein den Wagen wieder flottzukriegen, ist kaum möglich. Und auf Hilfe darf man hier auch nicht hoffen. Die Strecken werden zu selten befahren. Nach der Querung eines solchen Arroyos kann man sich aber in der Sierra in wilder Landschaft voller sukkulenter Pflanzen und völliger Abgeschiedenheit erholen. Die Misión San Francisco Borja de Adac, 1762 von Jesuiten gegründet, stellt den Mittelpunkt einer sehr kleinen Siedlung dar. Die Kirche wurde saniert, Gottesdienste finden statt. Die umliegende Landschaft begeistert durch Vielgestaltigkeit und einen unglaublichen Reichtum an interessanten sukkulenten Pflanzen (Dudleya spec., Datura wrightii, Fouquieria columnaris, Pachycereus pringlei, Stenocereus gummosus, Ferocactus spec., mehrere Arten Cylindropuntia, Myrtillocactus cochal, mehrere Arten Mammillaria, u.a. M. setispina). Die einzigen Echinocereen, die gefunden wurden, waren Echinocereus ferreiranus. Die Pflanzen in verschiedenen Altersstufen und Größen standen nur wenige Meter voneinander entfernt. Interessant war eine im Schatten eines Felsens stehende junge Pflanze: Die Mitteldornen waren hier sehr schwach ausgebildet. Die zeitlich begrenzte Suche nach weiteren Arten blieb erfolglos. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass REBMANN & ROBERTS (2012) in ihrer 3. Auflage des Baja-Pflanzenführers E. ferreiranus umgangssprachlich als „San Borja Hedgehog“ bezeichnen! Nun stellte sich uns die Frage, welche weiteren Echinocereenarten in der Umgebung vorkommen und ob darunter auch die Entsprechung der Pflanze ist, die in unseren Sammlungen unter dem Namen E. sanborgianus heute ziemlich weit verbreitet ist. Zuerst zeigen wir also diese Pflanze, wie sie uns in verschiedenen Sammlungen gegenübertritt. Dies ist ein Echinocereus, für den sich sicherlich schon viele Kakteenfreunde interessiert haben und hoffentlich auch in der Zukunft (nach Erscheinen dieses Artikels) noch interessieren werden, denn er dankt es mit einer sehr aparten Bedornung und mit sehr farbenfrohen, schönen Blüten. Schon in den frühen 1990er-Jahren wurden mehrere Pflanzen bei DeHerdt erworben, eine zeigte dann ziemlich bald ihre Blüte in der Sammlung Rutow, wo unsere ersten Dias von Blüte und Blütenschnitten entstanden. So landete auch ein Foto in BLUM et al. (1998: 84) unter der Bezeichnung Echinocereus barthelowanus aff. Tatsächlich sieht diese Pflanze dem E. barthelowanus auch sehr ähnlich, eigentlich unterscheidet sie sich nur dadurch, dass die Einzelkörper ein bisschen kräftiger sind, die Dornen ein bisschen dicker, insgesamt ist sie wüchsiger und vor allem viel viel blühwilliger. Und man kann sie leicht erkennen: Die Blüten sind nämlich männlich steril, die Staubbeutel produzieren keine Pollen! Im Internet wie auch in Printmedien kann man hin und wieder Abbildungen dieser Pflanze unter dem Namen E. sanborgianus finden (vgl. FRANK et al. 2001: 222 Abb. 267), bei verschiedenen Spezialgärtnereien ist sie auch aktuell im Angebot. Soweit es derzeit zu ermitteln ist, scheinen alle im Umlauf befindlichen Pflanzen zu einem Klon zu gehören! Dies scheint möglich, da die Pflanze gerne reichlich sprosst und auch gern Adventivwurzeln bildet. Das hilft natürlich bei der vegetativen Vermehrung. Vor allem bei DeHerdt kann man diese Pflanze mindestens seit den frühen 1990ern erwerben und so lag es nahe, dort nach dem Ursprung zu fragen. Cyriel DeHerdt berichtete dazu in einem Gespräch im Juni 2016, dass die Mutterpflanze in einer Sendung von Dr. A. Lau enthalten war! Das könnte, muss aber nicht zwangsläufig darauf hindeuten, dass es sich hier um feldgesammeltes Importmaterial handelt. Es könnte sich nämlich auch um einen Kulturimport aus der Sammlung Lau/ Las Flores handeln (der fragwürdige Echinocereus spec. Lau 1583 beruht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf einer unkontrollierten Kulturvermehrung in der Sammlung Lau)! Damit steht eine Kulturhybride wieder im Raum, was durch die (Teil-)Sterilität argumentativ unterstützt wird. Eine andere Hypothese, die sich durchaus mit der Lau-Legende decken könnte, ist, dass diese Pflanze eine Hybride von Echinocereus ferreiranus und E. brandegeei (oder E. barthelowanus) ist. In beiden Fällen würde dies die Blütenfarbe, die doch relativ helle Narbe und die Neigung zur Adventivwurzelbildung erklären. Um diese Annahme zu prüfen, wurden zwei Wege gegangen: In Kultur (bei H. Frohning und parallel bei M. Lange) wurde E. ferreiranus (Mutter) mit E. brandegeei gekreuzt. Die Sämlinge sind sehr empfindlich und auch Veredlungen noch zu klein, um ihren Habitus mit der vorliegenden Hybride zu vergleichen. Außerdem wurde 2016 versucht, in drei verschiedenen Sammlungen (Frohning, Neß, Lange) die Kulturhybride mit E. brandegeei bzw. E. ferreiranus zu befruchten, in allen Fällen trockneten die Blüten einschließlich der Fruchtknoten ein. Die Hybride ist allem Anschein nach auch weiblich steril. Nun zurück zur Frage, welche Echinocereenarten überhaupt bei San Borja vorkommen: • Direkt bei der Ortslage wurde von verschiedenen Kennern E. ferreiranus gefunden (FRANK et al. 2001: 160), ein Fund ist mit der Feldnummer Lau012 belegt (LAU 1992: 30). • Die Originalbeschreibung des Namens Cereus sanborgianus Coulter und der Holotypus (Gabb No. 9 bestehend aus zwei Dornenpolstern, vgl. http://www.tropicos.org/Image/100272069), sind durch verschiedene Kenner unabhängig voneinander der Art E. brandegeei zugeordnet worden. Als Standort wird das felsige Gelände südlich der Ortslage San Borja benannt. Für lokale Echinocereus brandegeei findet sich aktuell leider weder ein Herbarbeleg bei SEINet (http://swbiodiversity.org) noch ein Fotobeleg im San Diego Natural History Museum (http://www.bajaflora.org). Vermutlich ist die Art dort an ihrer absoluten nördlichen Verbreitungsgrenze und recht selten und damit schwer zu finden. • Beim Echinocereus mit der Feldnummer Lau013, welcher in der Feldnummern-Liste (LAU 1992: 30) auch als E. sanborgianus bezeichnet wurde, aber textlich gleichzeitig als Form von E. brandegeei untersetzt ist, ist die Situation leider konfus, denn Aussaaten der Feldnummer Lau013 (ex MAO-Katalog-Nummer 0209) ergeben regelmäßig E. engelmannii. • Bei FRANK et al. (2001: 95) werden durch einschlägige Fotos Vorkommen des E. engelmannii bei San Borja belegt. • Unstrittig und durch verschiedene Standortfotos belegt ist das Vorkommen von E. maritimus bei San Borja (vgl. FRANK et al. 2001: 115, http://www.echinocereus.de). Eine weitere Geschichte und eine für uns durchaus nachprüfenswerte Hypothese war von einem anderen Kakteenfreund zu erfahren, der darüber auch mit Dr. Römer korrespondiert hatte: Dort wurde als Herkunft ein küstennaher Bereich der Baja California (und nicht eine der beiden als Verbreitungsgebiet des E. barthelowanus bekannten Inseln) am Canal la Soledad (das ist nördlich von San Carlos) genannt. Leider wurde der nachfolgende Standortbesuch durch Dr. Römer im Jahr 2002 nicht mit einem positiven Nachweis belohnt! Die Suche nach dem Ursprung unserer Hybride ist also noch nicht beendet! Es braucht dazu wohl mehr als zwei Detektive … Zusammenfassung: Es kann kein vernünftiger Zweifel bestehen, dass Echinocereus (Cereus) sanborgianus ein Synonym von E. brandegeei ist. Bei San Borja (Baja California) kommen vier Echinocereenarten vor: E. brandegeei, E. engelmannii, E. ferreiranus und E. maritimus. Der Verdacht, dass es sich bei unserer Kulturhybride um eine Kreuzung zwischen E. brandegeei und E. ferreiranus (z. B. Lau012 x Lau013) handeln könnte, ist nur eine von mehreren möglichen Hypothesen. Es wird an dieser Stelle nochmals klargestellt, dass für unsere unfruchtbare und offensichtlich hybride Kulturpflanze der Name Echinocereus sanborgianus eine falsche, nicht nachvollziehbare und nicht haltbare Identifikation ist. Man sollte diesen Namen nicht verwenden. Die morphologischen Merkmale entsprechen eher denen des E. barthelowanus.