In Kultur beobachtet: Echinocereus stramineus Hans-Jürgen Neß Fotos: H.-J. & C. Neß Unser Hobby belegt, dass wir aus verschiedenen Gründen in erster Linie der Sammelleidenschaft unterworfen sind. Des Weiteren wollen wir immer besser und tiefer in die Materie eindringen. Dazu gehört aber noch der wichtige Aspekt, dass man die Pflanzen beobachtet, sie studiert und gewissermaßen mit ihnen lebt. Erst dann sollten wir Schlussfolgerungen ziehen; wie kann ich meine Kultur verändern und damit Verbesserungen im Gedeihen speziell des Habitus und Blühverhaltens erreichen? Wenn ich meine nicht mehr ganz kleine Echinocereensammlung mit Bescheidenheit betrachte, so können hier viele Pflanzeneigenschaften festgestellt und übers Jahr beobachtet werden. Die meisten Echinocereen sind einer phänologischen Reihenfolge beim Blühen unterworfen, so kann ich vom zeitigen Frühjahr bis zum Kälteeinbruch Kakteenblüten bewundern, aber nur selten erscheint ein zweiter Blütenflor. Der Blütenreigen spiegelt die von Karl Schumann aufgestellte Systematik wider, heute allerdings eingeteilt und geordnet in Sektionen. So kann bei Spätblühern oft beobachtet werden, dass z. B. bei E. maritimus durch Temperaturveränderung Knospen nicht zur Blüte gelangen. Diese ruhenden oder schlafenden Knospen blühen, mit ein wenig Glück, im darauffolgenden Frühjahr auf. Gleiches konnte ich bei E. fobeanus und E. metornii feststellen. Erwähnenswert ist auch das Blühverhalten von E. fitchii subsp. albertii, der zwar eine Hauptblütezeit hat, aber bei günstigen Kulturbedingungen ständig weitere Knospen bildet. Das konnte ich bei allen Standortformen (Alice, Kleberg und Refugio) feststellen, sogar die weißblühende Form E. fitchii subsp. albertii cv. „Margaret“ zeigte dieses erfreuliche Verhalten. Wenn ich in meiner Sammlung die verschiedenen Gruppen von E. stramineus betrachte, so beanspruchen sie eine Menge Platz für sich. Und wenn ich so zurückdenke, wie die Art in Kultur vom Sämling bis zu einer stattlichen Gruppe gepflegt wurde, bedarf es schon einer größeren Herausforderung an die Treue zu unserem Hobby, weil dies mit einem größeren Zeitaufwand und viel Geduld und viel Liebe beanspruchte. Denn in der Regel gehen schon einige Jahre oder Jahrzehnte ins Land, bis eine schöne ansehnliche Gruppe ihre Blühfähigkeit erreicht und man alle Aspekte von der kleinen Knospe bis zum alkoholisierten Fruchtmatsch erleben durfte. Dazu sei noch gesagt, dass die Blüten und Früchte bei verschiedenen Klonen sehr unterschiedlich ausfallen können. Die Blüte von E. stramineus gehört mit zu den größten und faszinierenden unter den Echinocereen, die Früchte sind essbar und gaben Anlass zur Bezeichnung Erdbeerkaktus! Sie werden aber nur nach einer erfolgreichen Bestäubung gebildet und entwickeln im ausgereiften Zustand eine dunkelrote Pulpa. Schon beim Aufplatzen entsteht ein fruchtiger Geruch und der Geschmack ist sehr fruchtig und erinnert tatsächlich an Erdbeeren. Echinocereus stramineus gehört mit zu den robusten Echinocereen in unseren Sammlungen. Die überwiegend dichte, sogar heftige Bedornung steigert die Attraktivität der Art in meinen Augen sehr. Da E. stramineus über ein sehr großes Areal verfügt, allerdings überwiegend in Mexiko vorkommt, kann man ihn auf keinen Fall als winterhart bezeichnen. Selbst der Frostsicherheit einiger nördlicher Populationen sind in Kultur schnell Grenzen gesetzt. Die Pflanzen können einfach nicht so dehydrieren wie die aus dem Norden der USA stammenden frostunempfindlichen Arten. Das unterschiedliche Blühverhalten meiner Stramineen gibt mir mitunter Rätsel auf, denn meine Pflanzen verhalten sich ähnlich dem E. fitchii subsp. albertii, je nach Trockenphasen und Wassergabe bildet E. stramineus in Abständen weitere Knospen aus. Da die Entwicklungszeit von der Knospe bis zur Blüte schon aufgrund deren Größe langwieriger ist, können sich ruhende Knospen auch erst im kommenden Frühjahr zur Blüte entwickeln. Leider musste ich auch bei E. stramineus Wuchsanomalien feststellen, die als Endständigkeit bezeichnet wird, aber aus Sicht des Liebhabers nicht gern gesehen ist. Man sucht nach dem Warum, um Abhilfe zu schaffen! In Kultur musste ich bei einigen anderen Echinocereen die gleiche Feststellung machen. Ich glaube, es gibt wenige Arten unter den Kakteen, die eine endständige Knospenbildung haben, wenn man von den Oster- und Weihnachtskakteen großzügig absieht. Eine mögliche Erklärung ist vielleicht, dass bei manchen Echinocereen der Blütenflor generell sehr scheitelnah erscheint. Die Folgen sind manchmal auch Scheitelverletzungen, dies kann zum Wachstumsstopp, Deformierungen oder Kindelbildung führen. Erwähnenswert ist noch eine meiner Pflanzen, bei der eine größere Scheinfrucht gebildet wurde, die gänzlich ohne Samen war. Meine Frage lautet nun: Sind solche Fehlbildungen als Anomalie zu bezeichnen und wie kommen sie zustande? Trotz aller Misserfolge, die unsere Kulturbemühungen begleiten, einschließlich so mancher Missbildungen, so kann ich mein Hobby, also wenn ich von meinen Kakteen umgeben bin und mir um so vieles in Ruhe meine Gedanken mache, als Meditation mit einer therapeutischen Wirkung bezeichnen. Ein Hobby, das trotz Dornen wie Balsam auf die Seele wirkt!