Eine warzige Angelegenheit: Fokusiert auf Echinocereus papillosus Hans-Jürgen Neß & Michael Lange Obwohl diese Art schwerlich jemals mit einem anderen Echinocereus verwechselt werden kann, finden sich kaum Text- oder Fotobeiträge in unseren diversen Fachzeitschriften. Oder ist dies sogar der Grund, da es sich nicht um einen problematischen Kaktus handelt? Es erscheint daher wünschenswert, endlich über diese Pflanze, die uns alljährlich begeistert, zu publizieren. Denn sie verdient in viel größerem Maße unser aller Aufmerksamkeit. Ist sie doch zweifelsohne etwas sehr Außergewöhnliches, das in dieser Gattung kein zweites Mal ähnlich ausgeartet vorkommt. So tat man sich auch lange Zeit schwer, diese Art ihrem Verwandtschaftsverhältnis entsprechend korrekt innerhalb der Echinocereen einzuordnen! Im Internet fand Google ca. 76.900 Einträge, einschließlich vieler Blütenfotos, Cristatbilder und Dokumente von Kulturhybriden. Doch nur als absolute Ausnahme sind Standortfotos dieser interessanten Art zu finden. Warum? Führt sie so ein verstecktes Leben oder ist in der Heimat, dem südlichen Texas und dem angrenzenden nördlichen Mexiko, niemand an ihr interessiert? Wie sieht der Lebensraum überhaupt aus und was können wir daraus für unsere Kultur ableiten? Und dann war da noch dieser angusticeps! Einige Fragezeichen stehen neben diesem Kaktus und wir möchten helfen, diesen Nebel etwas zu lichten. Der primäre Artname leitet sich vom Lateinischen ab, da die Rippen der Pflanze nahezu gänzlich in höckerige, ja warzenartige Erhebungen aufgelöst sind. Spätere Synonyme und Doppelbeschreibungen beziehen sich auf den Sammler C. Runge bzw. die Heimat und im Fall des angusticeps auf die Kleinheit der Triebe. Echinocereus papillosus wurde erstmals von August Linke benannt, aber erst durch Karl Theodor Rümpler (1886) gültig publiziert, allerdings leider immer noch ohne Kenntnis der zweifarbigen Blüten: Echinocereus papillosus Linke ex Haage, Cact.-Verz. 19. 1859 E. papillosus Linke ex Rümpler, C. F. Först. Handb. Cacteenk. ed. 2: 783. 1886 E. texensis Runge, Monatsschr. Kakteenk. 4: 61. 1894 E. rungei K. Schum., Monatsschr. Kakteenk. 5: 124. 1895 E. angusticeps Clover, Rhodora 37: 79, pl. 327. 1935 [wiederholt in Cact. Succ. J. (Los Angeles) 7: 173-174. 1936] Die Blüten sind ein Augenschmaus und durch ihre Farbkombination ebenfalls unverwechselbar. Und das mit einer äußerst beeindruckenden Größe. Die Kronblätter sind bei manchen Pflanzen wie gefiedert oder zerfranst; es gibt aber auch glattrandige Blüten. Die Farbe zeigt sich in unterschiedlichen Gelbtönen, am intensivsten am ersten Tag auch oft mit einem Hauch von Grün. Das Bemerkenswerte ist der rote Schlund, der die Pflanze so überaus attraktiv und erst ansehnlich macht. Da E. papillosus selbststeril ist, braucht man für die Samengewinnung einen zweiten Klon. Die Früchte bleiben außen in der Regel grün und platzen bei Reife auf, Notfrüchte können davon abweichen und rötlich einfärben. Das Fruchtfleisch ist glasig weiß und kann mindestens 150 Samenkörner enthalten. Die Samen sind zuerst hell und werden im dritten Monat schwarz und reif. Die Vermehrung durch Aussaat ist zu empfehlen. Die Stecklingsvermehrung ist möglich, aber nicht unproblematisch. Pfropfen bringt zwar schnelle Ergebnisse, aber auch Folgeprobleme, da die Pflanzen lange Triebe bilden und zum Vergeilen neigen; zudem bilden sie dann kaum Seitensprosse aus. Vielleicht verwenden wir aber nur die falschen Unterlagen und Ihre Erfahrungen sehen ganz anders aus? Nun ist es ja nicht eben so, dass diese Art selten in unseren Sammlungen ist. Aber selten in perfektem Zustand! Hans-Jürgen pflegt in seiner Sammlung zwei typische (dicke) ältere Pflanzen, eine stammt aus der Mitte der 1970er-Jahre von Werner Sporbert. Die Zweite aus dem Nachlass unseres Marktredwitzer Kakteenfreundes Hans Strobel. Leider ist das Samenangebot mit gesicherter Herkunft klein. Mesa Garden bietet E. papillosus (angusticeps) SB 1787 an. Obwohl „angusticeps“ aus heutiger Sicht nur ein Synonym ist, unterscheidet er sich nach seiner Erstbeschreibung durch die kleine Körperform und auch durch seine Pflanzengesellschaft und Bodenform. Dazu ein kurzer Erfahrungsbericht (von Hans- Jürgen): „Als ich in den 1980er-Jahren von der Firma Haage 100 Korn E. papillosus aussäte, war die Keimquote sehr hoch. Die kleinen Pflänzchen sprossten schon sehr früh und so war die Pikierschale bald dicht besiedelt. Im dritten Jahr nach der Aussaat kamen schon die ersten Knospen. Als mein Freund Michael die blühende Schale sah, war seine Begeisterung groß und was war seine erste Bemerkung? Na, das ist doch der angusticeps!“ Jahre später kamen aus dem Angebot der AG Samen mit der Feldnummer BW 429 La Gloria, Starr County, Texas. Es interessierte vor allem, ob zwischen unseren zwei alten Pflanzen und der definierten Herkunft Unterschiede festzustellen sind. Wir kommen zu der Erkenntnis, dass sich im Habitus geringe Abweichungen zeigen, die aber ohne taxonomische Bedeutung sind. Rippenzahl und Blüten weichen geringfügig in Farbintensität und Größe ab, die Bedornung der La-Gloria-Nachzuchten ist etwas dichter. Wie groß das heutige Areal der Art im südlichen Texas tatsächlich ist und in welcher Populationsdichte die Pflanzen dort auftreten, dazu sind uns derzeit leider keine brauchbaren Daten zugänglich. Die Rote Liste der IUCN stuft E. papillosus als nicht gefährdet (Least Concern) ein (https://de.wikipedia.org/wiki/Echinocereus_papillosus 09.09.2017). Durch Literatur und Herbarbelege sind (historische) Vorkommen im Bexar, Cameron, Dimmit, Duval, Hidalgo, Jim Hogg, Jim Wells, McMullen und Starr County bekannt. Über die Verbreitung in Mexiko wissen wir noch immer fast gar nichts! In den über 30 Jahren, seit TAYLOR (1985) den mexikanischen Standort nannte, ist uns nur der Fotobeleg aus Tamaulipas sowie ein Herbarbeleg aus Nuevo León (TEX 218128 Barcode 00181922) zur Kenntnis gelangt. Das Habitat wird übereinstimmend als grasiges Buschland und der Boden als sandig- lehmig mit Granit und Kalkstein durchsetzt, beschrieben. Demzufolge dürften wir in Kultur wenig oder keinen Humus verwenden und sollten für eine gute Drainage sorgen. E. papillosus verträgt keine anhaltende Staunässe. Der Standort verrät auch, dass E. papillosus kälte- und insbesondere frostempfindlich ist. Unsere Kulturerfahrungen mit der sehr weichfleischigen Art zeigen, dass sie gut in einer Ampel gedeiht. Die Knospen erscheinen zuverlässig im Frühjahr, aber erst wenn sie gut entwickelt sind, sollte angegossen werden. In normaler Topfkultur ist Aufbinden der Sprosse nur eine kurzfristig tragfähige Option und regelmäßiges Verjüngen ist problematisch, da die Sprosse nicht besonders gut angehen. Die Pflanzen sind anfällig für Rote Spinnmilbe und können diesbezüglich als Indikator dienen. Dafür, dass E. papillosus nach dieser Darlegung vielleicht etwas weniger stiefmütterlich behandelt werden wird, danken wir allen Bildautoren, die dem Aufruf im Newsletter folgten und ihre Fotos bereitstellten. Unser mexikanischer Kakteenfreund Manuel Nevárez stellte dankenswerterweise das Standortfoto aus Tamaulipas zur Verfügung. Wie die Bilder zeigen, ist es nicht ganz einfach schöne Aufnahmen anzufertigen. Immer gibt es irgendwelche Schwierigkeiten: zu viele Blüten, Nachbarpflanzen oder der unförmige Wuchs. Gerade bei Ampelpflanzen ist der Hintergrund ein großes Problem, zumal man diese Töpfe nicht einfach auf den Boden absetzen kann, denn die schönsten Blüten hängen meist weit über den Topfrand hinaus. Wir interessieren uns daher sehr für Ihre Kulturmethode und freuen uns auf weitere Diskussionsbeiträge und Fotoerfolge in naher oder ferner Zukunft. Vielleicht regt dieser Beitrag dazu an, auch mal wieder E. papillosus in die Aussaatbox zu packen! Uns würde noch mehr freuen, wenn wir aus allen genannten Bezirken aktuelle Bilder vom Naturstandort erhalten könnten. Ergänzung: Der ursprünglich so bezeichnete E. papillosus var. rubescens (vgl. Dams in Monatsschr. Kakteenk. 15: 92. 1905) ist vielleicht eine Kulturhybride oder ein pektinat bedornter Echinocereus. Um diesen ungeklärten Hypothesen auf die Spur zu kommen, haben wir einen unserer blühenden E. papillosus dieses Jahr mit Pollen von E. dasyacanthus bestäubt. Samen werden der AG zur Verfügung gestellt und vielleicht sind die Keimergebnisse so interessant, dass Sie demnächst in unserem EcF darüber berichten möchten.